"Am Schwarzen See"

(Dea Loher)

Grabbe-Haus / Landestheater Detmold
Bühne: Erik Schimkat
Kostüme: Pia Wessels
Darsteller: Stephan Clemens, Kerstin Klinder, Ewa Rataj, Joachim Ruczynski
Premiere: 22. Januar 2014

Zwei Elternpaare versuchen nach vier Jahren den gemeinsamen Selbstmord ihrer Kinder aufzuarbeiten. Trauerarbeit und Ursachenforschung. Die Verarbeitungs-Strategien reichen von Schuldverdrängung, Mut zum Schmerz bis hin zur Relativierung der Zusammenhänge. Das Ergebnis: die Klage über Verlust und Mangel an Nähe, die Anklage von falsch gelebtem Dasein. Die Krise zu wagen, verändert den Blick auf alles, was bisher selbstverständlich war. Ein theatrales Labor von Intimität.

"Die Produktion, die am Mittwochabend vom Premierenpublikum im Grabbe-Haus ausgiebig gefeiert worden ist, überzeugt auf allen Ebenen. Da ist die so sorgfältige Inszenierung von Martin Pfaff, die jede Reaktion in dem irrsinnig komplexen Gefühlschaos, das da auf die Bühne kommt, nachvollziehbar macht. Und da ist das überaus starke, mal spröde, mal dichte, aber immer verstörende Spiel der vier Darsteller. (...) Quälend ist es anzusehen, wie Else (Kerstin Klinder) fast hysterisch versucht, sich alles Vergangene schön zu reden. Ewa Rataj alias Cleo verschränkt die Arme, klammert sich an ein unsichtbares, selbst auferlegtes Gerüst aus Disziplin und unbedingter Kontrolle. Eddies (Stephan Clemens) frühere Allzweckwaffen – die Witze, das ein bisschen zu laute Lachen – sind stumpf geworden. Und Joachim Ruczynski in der Rolle des Johnny ist die Hilflosigkeit in Person, rettet sich in die immer gleichen Floskeln. Das wirkt gelegentlich sogar komisch, wenn der Banker schon wieder hoch besorgt die absolut nebensächliche Frage stellt: „Aber ihr zahlt doch noch ab?“ oder seine neue Stelle in der Großstadtfiliale der Bank einmal mehr mit „ist natürlich auch viel mehr Druck“ kommentiert. Kleine, erlösende Momente, die die Zuschauer mit Gelächter quittieren. Ganz deutlich wird in der Inszenierung: In dem Moment, in dem sich die Kinder das Leben genommen haben, hat auch das Leben der Eltern aufgehört. Sie existieren noch, unternehmen auch durchaus verzweifelte Versuche, sich lebendig zu fühlen (...), aber das Trauma, das seit vier Jahren ihr Leben überschattet, ist größer als alles andere. Hoffnung? Fehlanzeige. Aber es gibt noch einen fünften Hauptdarsteller. Das ist Erik Schimkats Bühnenbild, eine Hauskonstruktion, die die Darsteller selber Stück für Stück auseinander nehmen, bis sie irgendwann in den Trümmern ihrer bisherigen Leben sitzen. Das Bild ist sehr plakativ, wirkt fast schon perfekt auf die Inszenierung abgestimmt. Andererseits passt es hundertprozentig zu dem Wahnsinns-Text von Dea Loher, der nicht eine Silbe dem Zufall überlässt, der geradezu kunstvoll komponiert erscheint. Im Sprechduktus der Darsteller spielen Rhythmus und Stimmfarbe eine Rolle; im Aufbau wechseln Soli mit Duetten Terzetten und Quartetten, formieren sich zur spannungsreichen Dramaturgie. Der folgen die Schauspieler, die in Pia Wessels’ Kostümen wie tapfere, traurige Clowns wirken, wenn sie aus den selbstgebauten Räumen heraus treten, sie enger oder weiter gestalten. Wenn sie sich von Szene zu Szene in neue Allianzen begeben, sich verzweifelt umklammern, um sich im nächsten Moment mit bittersten Vorwürfen zu konfrontieren. Spiel, Stück, Inszenierung: verstörend gut."
(Lippische Landes-Zeitung)

"Erik Schimkats raffinierte Bühne besteht aus einem rudimentären Haus, einer Art Würfel mit einer Tür und zwei Fenstern. Kein Dach. Auch die vierte Wand bleibt offen, gewährt Einblick in die Tragödie der zwei Elternpaare. Zwischen den Szenen verändern die Schauspieler diese Konstruktion, bauen sie auseinander, rücken sie wieder zusammen und schaffen sich so fortwährend neue Außen- und Innenräume. Da entstehen ganz nebenbei Verstecke, in denen man einander die eine oder andere Lebensbeichte ablegen wird. Bis auf die von Popmusik begeleiteten Umbauphasen verzichtet Regisseur Martin Pfaff auf Effekte und überlässt den Abend ganz seinen Schauspielern. Die haben in der intimen Atmosphäre viel Raum, sich an Dea Lohers anspruchsvollem Text abzuarbeiten."
(WDR 5 – Scala)

"Hervorragende Inszenierung im Grabbe-Haus. (...) Und – anders als etwa in [Dea Lohers] „Tätowierung“ – gibt es keinen Handlungsfaden, keinen dramaturgisch zielgerichteten Ablauf. Nur nicht aufhörendes Wiederkäuen des Elends, so unerträglich, dass das Premierenpublikum schon nach drei Vierteln des Stücks zum erleichtert-energischen Schlussapplaus ansetzt (später gab’s dann noch den redlich verdienten ausführlichen und kräftigen Beifall für Darsteller und Regieteam). (...) Umso wichtiger: die Konzentration auf die einzelne Szene, die feine psychologische Zeichnung der Figuren. Und beides beherrscht Dea Loher hervorragend; beides wird in Martin Pfaffs Regie vorzüglich umgesetzt."
(kulturinfo-lippe.de)