"Der Schimmelreiter"

nach Theodor Storm
(Martin Pfaff)

Theater Naumburg
Bühne und Kostüme: Rainer Holzapfel
Darsteller: Kathrin Blüchert, Katja Preuß, Holger Vandrich, Tobias Weishaupt
Premiere: 18. Februar 2012

Ein Anti-Märchen über eine Dorfgemeinschaft. Wie geht man um mit den Träumen, Fragen, Ängsten der Anderen? Wie erlangt eine gute Sache Gestalt? Wieso gerät der Held vom träumerischen Visionär zum asozialen Bau-Leiter? Die Zuschauer sitzen um einen geschlängelten Steg herum, auf dem die Gratwanderung von Hauke Haiens Fortschritts-Projekt (des Deich-Baus) verhandelt wird. Jeder hat eine andere Perspektive auf die Dinge. So erleben die Zuschauer eine jeweils spezielle Wahrnehmung eines gemeinsamen Theater-Abends. Der Konsens liegt im Austausch.

"Doch Haien, einerseits ein kühner Visionär, ist anderseits ein gesellschaftsunfähiger Sonderling, blind für das von zählebigen Traditionen und wirtschaftlichen Zwängen geprägte Leben der friesischen Bauern. Letztlich scheitert er an seinem Unvermögen, die Dorfgemeinschaft für sein großes Projekt zu gewinnen. (...) - Regisseur Martin Pfaff hat sich deshalb auf die Binnenerzählung, die Lebensgeschichte Hauke Haiens, konzentriert, und das durchaus auch im wörtlichen Sinne. Denn die Akteure, in mehrere Rollen schlüpfend, spielen nicht nur die dramatischen Figuren, sondern kommentieren auch als Erzähler deren Entwicklung. Dabei experimentieren Pfaff und Ausstatter Rainer Holzapfel mit verschiedenen Stilmitteln, setzen auf einen Mix aus Verfremdung und komödiantisch überzogener Darstellung. So beim Dorftratsch oder den Angstszenen der abergläubigen Knechte, die Haiens Schimmel für ein Werk des Teufels halten. - Ein Holzsteg, der sich S-förmig durch den Zuschauerraum schwingt, ersetzt die Bühne, schafft unmittelbare Nähe zwischen Zuschauern und Schauspielern. Naturalistische Elemente fehlen, dafür werden Handlungen, so das Karren von Erde für den Deich, pantomimisch dargeboten. - Weishaupt bringt bei dieser Inszenierung die Ambivalenz der Figur des Deichgrafen gut zur Geltung, der den Menschen zwar helfen will, andererseits aber auch ein Leuteschinder und der größte Profiteur des Deichbaus ist. Die von Katja Preuß gespielte Elke Volkerts ist die Lichtgestalt des Stückes, die durch ihre absolute Liebe Hauke die Umsetzung seiner hochfliegenden Pläne ermöglicht und so gleich einer Gestalt der antiken Tragödie schicksalhaft schuldlos schuldig wird. Kathrin Blüchert und Holger Vandrich brillieren in verschiedenen Rollen, erstere beispielsweise als der intrigante Haien-Gegenspieler Ole Peters. Vandrich meistert gut den Sprung in Figuren mit unterschiedlichstem Charakter, so als Vater von Hauke oder als Deichbevollmächtigter. - Am Ende gab's nach einer gelungenen Naumburger Premiere für die Akteure Bravo-Rufe und streckenweise stehende Ovationen."
(Mitteldeutsche Zeitung)

"Martin Pfaff, hier Autor und Regisseur in einem, verzichtet auf die Rahmenhandlung, sondern lässt seine Schauspieler einen Prolog ins Publikum sprechen, in dem es sinngemäß heißt, dies sei Hauke Haiens Geschichte, und er käme immer wieder. Dann kommt er, und die Inszenierung setzt ganz auf erzählerisches, anschauliches Theater: so einfach und klar wie das Bühnenbild, ein sich mitten durch die Zuschauer windender, leicht ansteigender Steg, etabliert sie die Geschichte. - Hauke Haien wird als einer vorgestellt, der das Zeug zum Helden hat, weil er rechnen kann und denken und sich einen Dreck um die Konventionen schert. Vor allem um die deichbautechnischen. Tobias Weishaupt gibt ihn als von seiner Sache überzeugt, als bauernschlauen Hoffnungsträger, der quasi naturgegeben weiß, wie ein besserer Deich aussehen muss. Kein Sympath, aber wenigstens auch kein mit Pathos stilisierter Held. (...) Dass der von ihm gebaute neue Deich die Flut überstanden hat und nach ihm benannt ist – gestrichen. Das Ende - ein Schummelreiter. Oder war das die Moral von der Geschicht'? Wenn wir uns dem Neuen verweigern, gehen wir unter? Vorsicht, Klassik! - Kräftiger Beifall der Naumburger für ihr überzeugendes Ensemble."
(nachtkritik)

"Für dieses Stück hat man sich im Theater Naumburg von der Guckkastenbühne gelöst. Ein von unten beleuchteter Bohlen-Deich schlängelt sich durch den Bühnen- und Zuschauerraum. Diese puristische Idee von Bühnenbildner Rainer Holzapfel ist glänzend. So ist das Publikum ein Teil der Inszenierung von Martin Pfaff. Die Hitze der verbalen Reibungen und die Kälte der Gespenstererscheinungen teilt sich durch diese schlichte Raumlösung viel intensiver mit. Und da auf dem Steg viel gerannt beziehungsweise imaginär geritten wird, ist das Stück schweißtreibend und atemberaubend. Letzteres auch für das in jeder Aufführung begeisterte Publikum."
(Das Blättchen)

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