"Mutter Kramers Fahrt zur Gnade"

(Christoph Nußbaumeder)

Schleswig-Holsteinisches Landestheater
Bühne und Kostüme: Ines Alda
Darsteller*innen: Beatrice Boca, Lukas Heinrich, Simon Keel, Uwe Kramer, Ingeborg Losch, Felix Ströbel, Karin Winkler
Premiere: 9. März 2019

Anita Kramer verliert nach vielen Ehejahren ihren Mann. Seit dessen Tod lebt sie allein im großen Haus. Die Tochter spricht nicht mehr mit ihr. Als Anita Hudi kennenlernt, einen arbeitslosen Konditor, gerät einiges ins Rollen. Sowohl die Zukunft als auch die Vergangenheit zeigen sich in neuem Licht. Man sieht: Menschen im freien Fall. In einer Zeit, in der der Mensch mehr und mehr zur Ware verkommt. Man sieht verletzliche und verletzende Menschen, die ständig Angst haben, in der modernen Welt zu scheitern. Trotz allem sehnen sich alle nach Liebe. Die Familie als Ort der Sicherheit jedoch wird hinterfragt. Der Mikrokosmos spiegelt gesellschaftliche Missstände wider wie Habgier, Egoismus, Unverbindlichkeit und die Begrenztheit der Kommunikation. Trotz aller Nöte erkennt Anita, dass es nie zu spät ist, sich neu auszurichten, die Chancen wahrzunehmen, die einem das Leben zuspielt.

"Die Vergleiche des Autors mit den Volkstheatermachern Horváth oder Kroetz sind nicht weit hergeholt (…). - Dass hinter "Mutter Kramers Fahrt zur Gnade" mehr steckt als ein derber Spaß, zeigt sich etwa im Verhältnis zwischen Mutter und Tochter Kramer, das von Losch und Karin Winkler schön dysfunktional performt wird. Jede Geste der Zuneigung wird da zur Verletzung, jedes nette Wort zum Vorwurf. "
(nachtkritik)

"Martin Pfaff inszeniert Nußbaumeders Stück als gesellschaftskritisches Kammerspiel auf einer irrealen, bildgewaltigen Bühne von Ines Alda. Eine riesige Metallkugel (Globus) aus rostigen, löchrigen Metallplatten füllt die Bühne und vor diesem morbiden Globus agieren die Akteure (w/m). Dieser Globus symbolisiert den Makro- und Mikrokosmos, indem die Akteure gefangen scheinen. Die Szenen werden durch „black outs“ und ein Rauschen, wie wenn eine Funkverbindung abreißt, getrennt. Kommunikation ist störanfällig und somit erschwert. Zu Beginn steht Anita Kramer (Ingeborg Losch) vor dieser Kugel, die als Sternenfirmament ihre Verlorenheit im Universum verdeutlicht. Martin Pfaff setzt auf die Dialoge der Akteure und diese werden minuziös erarbeitet und gewinnen eine Wucht, die ins Mark der Zuschauer fährt. (…) Ein kleines Meisterwerk, das die Stärken des Stückes ins rechte Licht setzt. An solchen Theaterabenden spürt man die Kraft des Theaters: einer Welt, der die Menschlichkeit verloren geht, steht echtes Leben gegenüber."
(Leserkritik, nachkritik)

"Das Stück hat große gesellschaftliche Relevanz, uns hat es sehr nachdenklich gemacht, gleichzeitig haben wir viel gelacht und mitunter geweint. Am Ende gab es intensiven Applaus vom Publikum. Vielen Dank allen Beteiligten!"
(Kommentar nachtkritik)

"In ihrer beherrschten, hermetischen Haltung ist Ingeborg Losch als Anita ganz Prototyp der Lehrerin. Mit vor der Brust verschränkten Armen fast unnahbar, bleibt sie im Gespräch mit anderen meist auf Distanz. (…) Zugewandt und weich ist ihre Körpersprache im Dialog mit der Putzfrau (Beatrice Boca), zärtlich-kokett ihr Umgang mit Hudi, der sich anfangs schüchtern wie ein verliebter Teenager aufführt. Simon Keel präsentiert den durchs gesellschaftliche Raster gefallenen 'Loser' als jähzornigen, unbeherrschten Typen – permanent unter Druck. (…) Anrührend ist eine Momentaufnahme, die beide in stummer Umarmung zeigt, während auf der Kugel Hunderte winzige Lichtpunkte leuchten."
(Schleswig-Holsteinische Landeszeitung)

"Martin Pfaff verzichtet in seiner am Ende anhaltend beklatschten Inszenierung auf Bühnenrealismus und lässt die Figuren pur wie unter einem Brennglas agieren. In schneller Szenenfolge, die getrennt wird durch ein Rauschen, das eine atmosphärische Störung erinnert, zeichnet er seine Charaktere mit breitem Pinselstrich."
(Kieler Nachrichten)