"Maria Stuart"

(Friedrich Schiller)

Theater Lüneburg
Bühne und Kostüme: Barbara Bloch
Musik: Stefan Pinkernell
Darsteller: Calvin-Noel Auer, Felix Breuel, Britta Focht, Martin A. Greif, Matthias Herrmann, Maike Jebens, Gregor Müller, Philip Richert, Martin Skoda, Beate Weidenhammer
Premiere: 24. März 2016

Eine Tragödie: Macht-Kampf, Habgier und Einsamkeit. Der Schmierstoff: Religion - aus der vielleicht Liebe aber auf jeden Fall Hass auf die Menschen übergeht. Zwischen allem (und mittels der zivilisationsbejahenden Sprachemphase des Dichters): Sehnsucht nach Nähe und Auseinandersetzung mit dem (Un-)Sinn des eigenen Handelns. Eine große Klage über eine Welt aus Gewalt einerseits. Ein Oratorium des Trotzes gegen das Chaos andererseits.

"Es grummelt, es tropft, es zischelt, langsam öffnet sich eine Welt ohne Sonne. Mauern wie aus Granit formen grau in grau ein Labyrinth, das sich im Nirgendwo verliert. Nebel wabert durch diesen Ort, der Macht repräsentiert und Untergang. Farbe tragen hier nur die Königinnen, um die sich das nun anlaufende Drama rankt: „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller. Hehr sind die Worte, widrig die Gefühle. Martin Pfaff hat das Trauerspiel konsequent und unerbittlich auf die Bühne des Theaters Lüneburg gestellt. Drei Stunden läuft es, sie sind ungeheuer intensiv. (…) Schiller schrieb um die Regentinnen herum ein gewaltiges Stück über Macht, Kalkül und Religion, Intrige und Verrat, letztlich über Lebenskonzepte, Leidenschaft, Eifersucht und Neid. Das ist viel, und zugleich ist es erschreckend aktuell. Denn jede, jeder biegt sich die Wahrheit zurecht und erklärt sich das Geschehen so, wie es für den eigenen Vorteil passt. Lauter Populisten, kaum ein Zweifler. Politik, die wie Parolen verpufft. Es kann hier nur Verlierer geben, Schiller ist ein rigoroser Moralist. - Martin Pfaff hat für das Theater Lüneburg mehrfach große Stoffe effektvoll auf die Bühne gestellt, den „Schimmelreiter“ und „Faust I“. Pfaff, Oberspielleiter am Landestheater Detmold, findet auch für die „Stuart“ einen schlüssigen Zugriff, eng am Original. Er folgt — im sinnreichen Bühnen- und Kostümbild von Barbara Bloch — weitgehend dem Text, bricht ihn aber auf. Plötzlich nämlich richtet sich die Inszenierung direkt ans Publikum, mit einer gewaltigen Predigt, die von der Unerbittlichkeit des Glaubensgehorsams handelt und von drakonischen Strafen bei Abweichung. Fundamentalismus pur, die dunkel schillernden Worte stammen aus dem Alten Testament. (…) Pfaff arbeitet mit den Schauspielern sehr genau, entwickelt mit ihnen starke Profile. (…) Elisabeth gilt als die Böse, wird aber bei Pfaff und durch die differenzierte Darstellung von Maike Jebens zu einer Frau, die mit sich hadert und ringt, die Prinzipien folgt, an die sie kaum mehr glaubt. Elisabeth hat sich um der Macht willen von ihren Emotionen abgeschnitten, aber die sind nicht zu töten. Ihre Hand zuckt im Begehren nach Berührung. Fesselnd sind die inneren Kämpfe, als sie allein zaudert, ob sie ihren Namen unter das Todesurteil setzen wird. Sie wird — und wird dann alle, die ihren Befehl ausführen, verdammen. (…) Lang anhaltender Beifall."
(Landeszeitung)

"Die ganze Welt, ganz England – jedenfalls die ganze Bühne des Theaters Lüneburg wird von einem kühl abstrakten Arrangement vertikal fliehender, horizontal beschwichtigender Linien beherrscht. Arrangiert mit Stelen, Stellwänden und Spielpodesten in edlem Granitschwarz-Design. Und apart in Dunst gehüllt. Das scheint das Lebenselixier der dort in historisierenden Kostümen herumschleichenden Wesen zu sein, eine Art aufgewirbelter Staub, in dem jeder jeden gern vor sich niedersinken sähe. - Die Menschheit auf der Bühne, das elisabethanische Personal des Lehrstücks über Politik ohne Moral, die zehn Darsteller der Lüneburger "Maria Stuart" reduzieren alle Figuren auf das Streben nach Macht. In einem Spielraum der Macht. Dessen Wege und Auswege allen bekannt sind. So können die schurkischen Kabalen nicht versteckt, müssen offensiv praktiziert werden. Dumpf drohend prescht dazu immer wieder ein und derselbe Trommelschlag durch die Lautsprecher. Am Ende wissen wir: Es ist der letzte Ton, den die Titelheldin hört – als das Henkersbeil durch ihren Nacken aufs Schafott donnert. Wer hingegen Kabalen und Liebe praktiziert, wird mit sanfter Gitarrenmusik als Soundtrack belohnt. - Die Tragödie als allgemein menschlichen Psychokrimi oder als um Beifall buhlende Politikershow voller Manipulationstaktiken, Heuchelarien und Selbstinszenierungen zu zeigen, ist immer wieder gern gesehenes Spielplanfutter. Martin Pfaff versucht nun beide Ansätze zu vereinen. Weder zerstückelt noch aufgebrochen wird die Vorlage, sondern konzentrierend stilisiert. Ganz der Schiller'schen Sprache vertrauend. (…) Stolzierend intellektuelle Dame versus herumtigernd impulsives Weib, protestantischer Puritanismus versus katholische Sinnenlust: Dieses Prinzipien- und Hassduell ist weniger als Gegenüberstellung von Extremen zu erleben. Vielmehr werden die unterschiedlichen Ansätze, zwischen Pflicht und Neigung zu vermitteln, einander angenähert. Und vom Sockel geholt. Majestätisch agieren die in Neid verstrickten Königinnen nie. Eher wie bestens verfeindete Freundinnen. Elisabeth (Maike Jebens) hat ja gerade in Sachen Herrschaft die Nase vorn, kann das aber nicht genießen. Sie erzählt mit resigniertem Stolz von ihren Opfern, beispielsweise dem trostlosen Dasein in Jungfräulichkeit. Genervt ist sie zudem, immer wieder gegen Rollenklischees – wie dem vom schwachen Weib – mit besonderer Härte angehen zu müssen. Gibt aber nicht die unnahbare Moralistin, zeigt sich auch als Verführerin. Wenn sie ihrem Leicester anbietet, "ich will euch heute keinen Wunsch versagen", ist sie schwer enttäuscht, als er nur mit einem Handkuss antwortet. Aber nachdem der Graf seinen Verrat charmant weggelogen hat, presst sie gierig ihre Lippen auf die seinen, will ihm gerade die Kleider vom Leib reißen, als die Hofgesellschaft wieder zur Pflicht ruft. Diese Disziplin fehlt Maria (Beate Weidenhammer). - Von politischer Entmachtung, Verlust dreier Ehemänner und langer U-Haft ist sie ver-, aber nicht zerstört, bleibt ungebändigt, von aggressiver Intelligenz. Und stets körperlich agil. Sie schlägt auch mal zu und schmeißt ihren Leib verachtungsgierig sogar der Gier eines Feindes zum Fraße vor. (…) Da das aber alles noch nicht so richtig brandaktuell ist, wagt Pfaff mit seinem einzigen groben Regieeingriff einen zeitgenössischen Schlenker. Dem Stück wird das Licht ausgeknipst, zwei Darsteller treten heraus und hasspredigen auf der Vorderbühne. Von der Stimme des Herren, seinen Geboten und Gesetzen, dem wahren Glauben geht die einpeitschende Rede, gegen Andersdenkende wird gehetzt, die in unser Land hineinwollen und uns bedrohen. (…)"
(nachtkritik)

"Das Ensemble verkörperte die Figuren mit Leidenschaft und Intensität und brachte, vom Publikum bejubelt, das Drama mit einer beeindruckenden Schauspielerleistung auf die Lüneburger Theaterbühne."
(Lüneburg Aktuell)