Sommertheater. Raumbühne. Realität und Fiktion verschmelzen. Das Live-Erlebnis: ein Melodram über Fanatismus, Besitzgier und Einsamkeit. Alle Figuren klammern sich an einen taumelnden Funken Hoffnung in einer Welt aus Hass, Religionswahn und Krieg: alle lieben. Bis zur Enttäuschung. Fremdenfeindlichkeit und Ablehnung von allem Andersartigen stiften Unglück und Gewalt. Ein gnadenloses Portrait über eine Zeit aus Willkür, Zufallsabhängigkeit und Unverbindlichkeit. Spielt das Stück 1481 oder 2015? Wie auch immer, ein Anti-Held bringt Licht ins Chaos: Quasimodo – ein schwer behinderter, von vielen verachteter Mensch. Er hat etwas, was die wenigsten kennen: Mitgefühl.
"Sollte dem Naumburger Sommertheater-Publikum bange werden? Nacheinander auf die Marientor-Bühne springend verkünden in gehässig-spöttischem Unterton fünf Schauspieler, worum es in der Inszenierung des Theaters Naumburg geht: Um einen 600-seitigen Roman, um unzählige Haupt- und Nebenfiguren, um ebenso unzählige Handlungsstränge, aus denen sich ein schier endloses Theaterstück stricken ließe, und um das Mittelalter. Die Rede ist von Victor Hugos 1831 erschienen historischen Roman „Der Glöckner von Notre Dame“. Aus dieser Vorlage schrieb und inszenierte Martin Pfaff eine ganz eigene Version für das kleinste Stadttheater Deutschlands. Eine Version, die, wie sich Sonnabendabend zur Premiere zeigte, das Publikum, begeisterte. - Wie schon in vielen Verfilmungen pickt Pfaff die Geschichte um den missgebildeten Glöckner von Notre Dame, Quasimodo, und seine Liebe zur schönen Zigeunerin Esmeralda heraus und gibt ihr teils ganz eigene Züge. Es ist eine Geschichte um Liebe, Eifersucht und Mord. Esmeralda, die in Liebe zu Hauptmann Phoebus entbrannt ist, hat mit Quasimodos Ziehvater, dem Geistlichen Frollo, einen zweiten unerschütterlichen Verehrer. Verrückt vor Liebe und Eifersucht plant und führt dieser einen Mord durch und stellt dafür die Zigeunerin an den Pranger. - In das knapp 90-minütige Stück packt Pfaff spannende, turbulente, komödiantische Szenen, wartet mit Überraschungen auf, beeindruckt auch mit anrührenden Momenten und baut Bezüge zur Gegenwart ein. Im Hier und Jetzt spielt das Stück vor allem optisch. Bühnen- und Kostümbildnerin Kerstin Junge taucht die Szenerien in ein beeindruckend einfach gehaltenes und dennoch ausreichend aussagekräftiges Bühnenbild. Die Kostümvorlagen entstammen keineswegs dem Mittelalter. Sie sind eine bunte Mischung aus angedeuteter Historie und Gegenwart. In einem opulenten Stufenrock samt blumiger Strickjacke schlüpft Andreas C. Meyer in die Rolle der Esmeralda. Mit Hauptmann Phoebus übernimmt wiederum Katja Preuß einen männlichen Part, den man ihr leicht abkauft. Zwischen zwei Charakteren - wie Esmeraldas Ziehvater - springt Betty Wirtz gekonnt hin und her. Diese verdrehte Rollenspiele sorgen gelegentlich für clowneske Komik. Vor den Augen der Zuschauer wird Holger Vandrich zum Quasimodo verwandelt - Pfaffs, wie sich zeigte, berechtigte Wunschbesetzung. Christian Bayer, der als Gast-Mime beeindruckend den Geistlichen Frollo spielt, unterstützt in dieser Inszenierung das Naumburger Schauspieler-Team, für das mit dem „Glöckner“ die Stunde des Abschiedes von der Naumburger Bühne und dem Publikum naht, das an diesem Abend deren Schauspielleistungen mit viel Applaus bedachte."
(Naumburger Tageblatt)
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