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Spielzeiteröffnung: Ein Mann, ein verborgenes Zimmer, ein Zuschauer. Die Erfahrung von Intimität als Luxus-Ereignis! Das Angebot eines Theaters, das sich auf die Fahne schreibt, nie zu vergessen, worum es neben guter Unterhaltung geht: Spiel, Abenteuer, neue Wahrnehmungen, Umdenken, Experiment.
"Im Foyer werde ich schon erwartet. Es geht treppauf, mein Blick fällt auf funkelnde Lüster, die Füße versinken im flauschigen Rot, mein Herz klopft: Ich habe ein Date. In der Leopold-Lunge. Keine Premiere wie jede andere. Das Landestheater zeigt John Clancys Monolog „Event“. Monolog, schon klar, bedeutet: Einer redet. Und der heißt in diesem Fall Roman Weltzien und ist Schauspieler. In der Detmolder „Event“-Lesart bedeutet es aber auch: Eine hört zu. Genau eine. Ich. Das hat sich Regisseur Martin Pfaff ja fein ausgedacht. – Das Ambiente ist nüchtern. Ich sitze am Kopfende des langen Tisches, an dem sonst Zuschauerzahlen analysiert werden, oder ähnlicher Alltagskram verhandelt wird. Auf jeden Fall nichts mit Event-Charakter. Meine Mission: Theater gucken. Kein Problem, kann ich. Und dann steht Roman Weltzien im Raum, zieht die Jacke aus, ist „der Mann“, als der er über die nächsten 50 Minuten agieren wird. Ein eigenwilliger Mann, der in der dritten Person über sich selbst redet. Und über mich. Auf einmal bin ich wer in diesem Stück, habe eine Rolle. Bin: „die Fremde“. Wie ging denn das so schnell? – Virtuos spielt John Clancys Text mit der künstlichen Situation einer Theatervorstellung, mit den tradierten Verabredungen, die das Verhältnis zwischen Darstellern und Publikum regeln. Und Martin Pfaffs Kunstgriff, die Relation zwischen Schauspieler und Zuschauer auszugleichen, treibt dieses doppelbödige Spiel auf die Spitze. Binnen Minuten sind die Grenzen verwischt. Bin ich Zuschauerin und tue eben dies, zuschauen, oder bin ich die Fremde, die zweite Figur in diesem ausgekochten Spiel? Reagiere ich, wenn der Mann mich anspricht? Die ehrwürdigen Ex-Intendanten des Hauses in der Galerie an der Wand weichen meinem fragenden Blick aus. Schon klar, von dort gibt’s keine Hilfe. Der Mann tut alles, um das „Event“, das Ereignis, zu entzaubern. Der Darsteller? Spielt bloß. Seine Worte? Auswendig gelernt. Sein Lächeln? Will die Regie so. Die Gesten? Okay, einige mögen seine eigenen sein. Sind aber geprüft, für gut befunden, immer wieder geübt worden, bis er nun das Gefühl hat, er imitiere sich selbst. Gute Idee – das kann ich auch. Ich schlage die Beine übereinander und schaue zu. – Genüsslich lässt der Regisseur den Mann auf dem Tisch räsonieren, lässt ihn nah an die Fremde heranrücken, sich in der Garderobe verkriechen, unterm Tisch entlang robben. Kurz: Er lässt ihn jedes Quadratzentimeterchen Raum nutzen, das die Leopold-Linge zu bieten hat. – Der Mann selbst hat in seinem Monolog inzwischen den abgegrenzten Raum des Theaters verlassen, er schwelgt gedanklich in Zeiten, in denen Kommunikation zwischen Menschen noch „live“ funktionierte, empört sich, reflektiert über Wirklichkeit und Wahrnehmung. Und die Fremde grübelt: Sind die vielfach unausgesprochenen Regeln, die fürs Theater gelten, eigentlich so viel anders als die im echten Leben? Mehr Leben im Theater, mehr Theater im Leben: Das wär‘ eine prima Alternative. Immer wieder hat der Mann die Spielzeit-Minuten herunter gezählt, und dann ist es plötzlich da, das Ende. Er zieht die Jacke an und geht. Als Zuschauerin würde ich jetzt applaudieren. Die Fremde in mir weiß nicht, ob das Teil ihrer Rolle ist. Aber sie hat es zumindest in dem Punkt besser als andere Zuschauer: Sie hat die Chance, an dieser Stelle zu schreiben, dass Roman Weltzien eine großartige Vorstellung gegeben hat. Chapeau!"
(Lippische Landeszeitung)
"Ära Pfaff beginnt mit mutigem Experiment. (…) Martin Pfaff verwöhnte das Detmolder Publikum als Gastregisseur jahrelang mit gelungenen Regiearbeiten, vom Klassiker („Kabale und Liebe“) über die volkstümliche Klamotte („Charleys Tante“) bis zum anspruchsvollen Gegenwartsstück („Am schwarzen See“) – lauter solide Inszenierungen von ordentlichen Stücken. Und nun? Kaum ist er als neuer Detmolder Schauspieldirektor installiert, schon eröffnet er die Ära Pfaff am Landestheater (programmatisch?) mit einem – EVENT ! (…) Ist die „existenzielle Sehnsucht nach gutem Gespräch“ (Martin Pfaff) womöglich nur noch im Theater zu stillen? Oder? Ist im Theater überhaupt ein Gespräch möglich? Im herkömmlichen Theater, bei „Kabale und Liebe“ oder „Charleys Tante“? Die auf der Bühne sind schließlich festgelegt. Siehe oben. Und die vor der Bühne? Clancey nennt sie „strangers“, „Fremde“. Die haben doch gar keine Chance, sich einzubringen. Schon gar nicht als einzelner Zuschauer. Da bedürfte es ganz anderer Theaterformen. (Aber ob das dann noch „unser“ Theater wäre?) - Solostücke sind eigentlich die Ausnahme. (…) Das Landestheater führt die Idee des Solostücks jetzt konsequent bis zum Ende: dem einen Darsteller sitzt genau ein Zuschauer gegenüber. (…) Auch für mich – regelmäßigen und durchaus auch in ungewöhnlichen Formen erprobten Theatergänger – ist diese Vorstellung ein Experiment, dem ich mit großem Interesse … aber doch auch mit einem gewissen Bangen entgegensehe. So ganz ohne Vordermann, der Deckung böte, ohne Zuschauermasse, in deren Anonymität ich eintauchen könnte … - Also werde ich (ICH, nur ich!) am Theatereingang abgeholt, die Treppe hinaufgeführt, vorbei an der Fremdenloge („da drin wird der ‚Faust‘ gespielt“, verrät meine Führerin in bedeutungsschwangerem Flüstern) und hinein in die Leopold-Lounge, wo das Theater sonst seine Pressegespräche durchführt. Jetzt sitze ich allein auf einem der ca. 20 Stühle und warte. Nicht lange, denn bald schon betritt Roman Weltzien den Raum, beachtet mich gar nicht (ganz der da oben, der für die da unten spielt, aber nicht mit ihnen). Aber auch das nicht lange. Denn während er von sich selbst immer nur in der dritten Person spricht, spricht er mich bald direkt an. Solange er seine Rolle als Schauspieler reflektiert (s. o.) hört man sich das einfach an. Mehrfach bietet er mir mehr oder weniger direkt an, ich dürfe gerne auch gehen: „Wollen Sie wirklich Ihre Lebenszeit dafür opfern, sich anzuhören, was der Mann auswendig gelernt hat?“ – „Aber das tue ich doch immer, wenn ich ins Theater gehe!“ – Das sage ich nicht laut; allenfalls durch Nicken bzw. Kopfschütteln bekunde ich meine wilde Entschlossenheit, hier zu bleiben. (…) Ich mag diesen Schauspieler. Wie gut er sein Handwerk beherrscht, hat er in einer – sonst nicht weiter erwähnenswerten – „Laurel & Hardy“-Produktion gezeigt. Als Puck oder als Johannes Pinneberg hat er mir sehr gut gefallen. Als Charleys Tante wurde er Publikumsliebling. Und jetzt? So Aug in Auge? Auch da überzeugt er durch ruhige Professionalität. Ja: überzeugt! Obwohl er selbst seine Schauspielerei immer wieder thematisiert, sich von seinem Verhalten als fremdbestimmt distanziert, von seinem Text sowieso – ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich ihm zunicke, ihm meine Zustimmung zu seiner Meinung signalisiere, von der ich doch gar nicht wissen kann, ob es seine ist. Aber er überzeugt eben, dass es so ist. - Ich finde es immer etwas peinlich, wenn ich als Einzelner einem anderen applaudieren soll. Am Ende seines Auftritts verschwindet Weltzien so wie er gekommen ist durch die Tür. Und kommt nicht wieder. Damit erspart er dem Zuschauer die Peinlichkeit des einsamen Applauses. Aber leider nimmt er ihm gleichzeitig die Möglichkeit, seiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen. Wenigstens ich habe hier dazu die Gelegenheit: BRAVO!"
(kulturinfo-lippe.de)
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