"Alice"

nach Lewis Carroll (Katja Hensel)

tif / Staatstheater Kassel
Bühne und Kostüme: Anika Klippstein
Musik: Georgy Vysotsky
Darsteller: Elisabeth Hütter, Eva-Maria Keller, Aljoscha Langel, Jürgen Wink
Premiere: 23. März 2014

Ein leeres Theater mit etwas Müll und Dekorationsresten. Vier Freaks bewachen diesen Ort der Träume, der Anti-These, der Subjektivität, der Verwandlung. Drei von ihnen glauben noch an den Wert der Phantasie. Der Älteste mag nicht mehr. Dieser wird in die Zange genommen und schmeißt auch bald seinen Spielmotor wieder an. Von nun an toben die vier Spieler durchs Land der Verwunderungen, der verdrehten Ansichten, der Überraschungen und neuen Bilder. Der Status Quo ist nicht das Ende der Fahnenstange.

"Die Inszenierung hat Martin Pfaff gemacht (...). Und wenn der Vorhang aufgeht – und es gibt extra einen richtigen, klassischen rotsamtenen Vorhang, der da sonst nicht hängt – dann sieht man eben nicht das, was man sich vielleicht unter einem Wunderland vorstellt, sondern eher Unzusammenhängendes: eine Treppe, die nirgendwohin führt; da steht eine Leiter; da stehen Baupaletten. Und aus diesen Bausteinen wird dann nach und nach und immer neu eine Wunderwelt konstruiert. (...) Und so ist man als Zuschauer eben nicht gleich im Wunderland, sondern sieht, wie sich auch Alice nach und nach in diese Welt hinein spinnt. Und um das Unlogische auch gleich an ganz prominenter Stelle zu zeigen, wird Alice selbst, also das junge Mädchen, von einem älteren, männlichen Schauspieler gespielt; somit auch auf der Besetzungsebene werden alle Regeln durchbrochen. Und damit das auch die in den 80er Jahren sozialisierten Eltern verstehen, werden diese herrlich synthetischen Klänge von Dreams are my reality (...) eingespielt. (...) Jürgen Wink, ich hatte das schon angedeutet, ist in der Rahmenhandlung noch einer der vier Zoowärter, und dann wird er mit Lockenperücke und Kniehosen zu Alice. Und er schafft es wirklich, dass man diese Rollenbrechung sehr schnell akzeptiert. Und Alices Fragen „Wer bin ich?“ „Was ist richtig? Was ist falsch?“, die ganzen Fragen um Identität und Persönlichkeit – die bekommen durch ihn eine ganz interessante Brechung."
(hr2 - Frühkritik)

"Wie inszeniert man einen Sturz ins Bodenlose auf den horizontalen Theaterbrettern? Man legt sich auf eine Euro-Palette mit Rädern (später werden daraus unter anderem Türen) kurvt herum und tut so, als fiele man. Weil nichts ist, wie es scheint, kann der Schein nicht trügen, weshalb auch nur wenige Requisiten zum Einsatz kommen (Bühne und Kostüme: Anika Klippstein). Natürlich kann Alice auch von einem Mann fortgeschrittenen Alters gespielt werden, zum Beispiel Jürgen Wink, der sich eine Perücke aufsetzt und mit tiefer Stimme weiterspricht. Die Schauspieler schlüpfen in zahlreiche Rollen: Eva-Maria Keller glänzt als Flasche und als schrille Herzkönigin. Aljoscha Langel ist mehr als nur das versponnene Kaninchen, während Elisabeth Hütter mal als Wimper im Tränenmeer schwimmt, um dann als Herzogin alle einzuwickeln. „Alle quälen sich sehr – nur das Chaos ist fair“ lautet die Devise. (...) „Alice“ ist mit seiner verspielten Lust an der Zertrümmerung der (Sprach-)Logik und Sinnzusammenhänge, mit seinen fabelhaften Kostümen und seiner absurden Doppelbödigkeit keine leichte Kost. Es wird für Kinder ab acht empfohlen (was etwas früh angesetzt scheint), aber auch für Erwachsene. Begeisterter Beifall."
(HNA)

"Hinter dem roten Samtvorhang sitzen vier nicht näher definierbare Wesen in ihr Kartenspiel vertieft. Die Szenerie wirkt zeitlos (...), alles ist möglich. Die Atmosphäre erinnert an eine verrauchte Taverne, in der die letzten Gäste zu später Stunde aus dem Nähkästchen plaudern und eigentlich gar nicht vorhaben, nach Hause zu gehen. Zu geheimnisvoll sind die Geschichten, zu fantastisch das Erzählte. (...) Die Personifizierung der Hauptfigur Alice ist der stärkste Aspekt der gesamten Inszenierung. Jürgen Wink spielt sie mit blonder Goldlockenperücke und Ringelstrümpfen. Er tanzt und wundert sich durch diese bizarre Welt auf eine wunderschön unterhaltsame und authentische Weise. Ihm nimmt man die Alice ab, wie er überhaupt schon oft bewiesen hat, quasi jeder Rolle überzeugend spielen zu können, jetzt hier eben eine Alice, die kein Zuckerpüppchen, dafür aber ein neugieriges Mädchen ist, das mit seinen blauen Kniebundhosen und den Hosenträgern auch ein Junge sein könnte."
(Kulturmagazin)